Nacharbeit zum "Workshop im Rahmen des Bürger*innenbeteiligungsprozesses zur Zukunft des österreichischen Gesundheitswesens" (2024-08-09)

Für mich war der Workshop von überschaubaren Ergebnissen und originellen Erlebnissen geprägt. Da aber doch einige Zeit in die Vor- und Nachbereitung geflossen ist, möchte ich beides hier zum weiteren Gebrauch festhalten.

Die Veranstaltung

Ich habe aus einem ÖKUSS-Newsletter von dieser Möglichkeit der Bürgerbeteiligung erfahren und mich brav angemeldet. Der Workshop wird an jeweils zwei Tagen in Wien und Innsbruck (also insgesamt für 4 Gruppen) abgehalten.

ÖKUSS-Einladung zur Bürgerbeteiligung
Notwendige Verbesserungen in unserem Gesundheitssystem sind in meiner Lebenswelt ebenso omnipräsent wie mein Wunsch nach digital vor ambulant vor stationär, um vor allem die Effizient für die Patientenseite zu steigern. Der wohl intendierte Seitenname Patientenwege (siehe Bild), der auf der ÖKUSS-Seite zur Werbung für den Workshop verwendet wurde, machten mich doppelt engagiert, weil mich diese Thematik auch international das letzte halbe Jahrzehnt beschäftigt hat.

Ich bin einigermaßen umfangreich vorbereitet zum Workshop gepilgert, weil schließlich möchte man ja etwas (nicht nur für die eigene Zukunft, sondern auch für die ganze Gesellschaft) bewegen. Und offene Baustellen gibt es wahrlich zahlreich, wo ein etwas mehr an funktionierendem digitalen Ablauf hilfreich und effizient zeitsparend wäre.

Für uns waren drei Diskussionstische vorbereitet mit jeweils einem Organisator/Moderator am Tisch. Nach einer Vorstellung, was das Future Health Lab sei (ein frischer Think Tank, der seine Gelder - Sponsoring und Auftragsarbeiten - von Pharma bis Ministerium bekommt, wenn ich es richtig in Erinnerung habe) wurde uns auch schon die erste Aufgabe zugeteilt: Wo und wie suchen wir nach (medizinischen) Informationen (nicht nur) im Internet.

Das war der erste Moment, an dem ich einigermaßen verdattert dagesessen bin. Vielleicht, weil das Thema bei allen Selbsthilfe-Schulungen regelmäßig auf der Tages- bzw. Schulungsordnung steht. Vielleicht, weil ich als Patientenvertreter in meinem Bereich schon viele etablierte Informationsquellen habe und auch weiß, dass es schier unzählige Interessengebiete gibt.
Wir waren vor allem Bürger aus unterschiedlichen Patienten-Lebensbereichen am Tisch und ein paar Zuhörer, entsprechend divers waren unsere Zugänge zu medizinischen Informationen und die Suche danach, je nach Spezialisierung bzw. Interessensgebiet.

Was mich dann ab dem ersten Moment in ungläubiges Staunen versetzte und paralysierte, war die Verkündung der Aufgabe im zweiten Teil: eine Webseite für unseren Zugang zu zuverlässiger Gesundheitsinformation der Zukunft entwerfen. Weil es auf die Nachfrage nach Inhalten und Zielpublikum keine näheren Einschränkungen gegeben hat, konnte ich hier keine sinnvollen Beiträge leisten. Mein Entwurf im Stil der Google-Suchseite war schon mehr Satire als konstruktiver Input.

Mit einer Plünderung des Obst-Buffets ist der Nachmittag dann für mich zu Ende gegangen.



Vorbereitung

Zur in der Einladung angekündigten Gesundheitsreform nach dem Motto "digital for ambulant vor stationär" gibt es jede Menge Sinnvolles und Wichtiges zu tun, weil es um den "Best Point of Service" für den Patienten geht. Einige Stichwörter hatte ich mir aus den Gesprächen mit Freunden und Verwandten mitgenommen:



Erlebtes und Nachverdautes

Bei der Beschreibung, wie und wo wir verlässliche Gesundheitsinformationen suchen und finden, habe ich einen schlichten Zugang: Tante Google und Youtube befragen. Natürlich braucht es ein wenig Übung und Kompetenz, Mist von Qualität zu unterscheiden - aber darin habe ich schon innerhalb meiner Informationsblase Übung. Und ich mache mir auch von Zeit zu Zeit Spicklisten, um mich nicht dauernd durch lange Ergebnislisten zu kämpfen, wenn ich schon eine Ahnung habe, bei wem ich suche. Meine 2018 erstellte Linkliste zu (damals für mich relevanten) allgemeinen medizinischen Quellen ist hier: Med. Wissen.

Woher vertrauenswürdige medizinische Information nehmen, dazu hat es schon vor einem Jahrzehnt selbst bei uns viele Arbeiten und Schulungen Interessierter gegeben. Es gibt auch dicke Werke, wie den Praxisleitfaden Wie finde ich seriöse Gesundheitsinformationen im Internet von Alexander Riegler aus 2011. Dazu gibt es eigentlich nicht viel auszuführen, weil die angeführten Qualitätsregeln und journalistischen Mindesterfordernisse sind zeitlos.
Zu meinem in die Jahre gekommenen Text aus 2016 zum Thema Bewertung von Webseiten hab ich eigentlich auch nur hinzuzufügen, dass viele Seiten recht kurzlebig sind und eine Menge Links deshalb ins Leere gehen (Langlebigkeit ist eventuell auch ein gutes Qualitätsmerkmal, wenn es um Vertrauenswürdigkeit geht).

Nach-Erfassung: Wie sucht meine Großfamilie nach medizinischen Informationen?
  • Die Jungen (25-40) suchen mehrheitlich primär per ChatGPT, eine Nennung mit Google als Einstieg und dann meist weiter zu netDoktor.
  • Die Mittleren (50-70) haben meist einen Arzt in der Bekanntschaft und fragen diese(n) oder haben einen etablierten Zugang zu einer Informationsblase (so wie ich).
  • Für die Älteren (80+) ist die Aussage eines Arztes wie göttliches Gebot, während alternative Information aus der Tageszeitung ausgeschnitten wird.

Was in meiner bisherigen Suchkarriere überhaupt nicht hilfreich war, sind Zertifikate, egal welcher Art. Die könnten auch nur ein Geschäftsmodell für den Zertifikats-Aussteller sein.
Bis auf eine Ausnahme! Einige Seiten meines Webauftritts tragen inhaltsbezogen auch ein Zertifikat, und zwar das der Hochbürder Stiftung. Kann ich nur wärmstens weiterempfehlen. </s>

Zum Thema Wert von Zertifizierung und Satire hab ich noch Eins draufzulegen: Im letzten Newsletter der ÖGP war zu lesen, dass die Pneumologie in Graz ganz aktuell als Expertisezentrum designiert worden sei. Wenn ich es recht in Erinnerung habe, wird die Designierung im Rahmen des NAP.se derzeit von der GÖG durchgeführt - und welchen Wert dieses "Zertifikat" hat, kann man daran ablesen, dass die Pneumologie in Graz vor mehr als einem Jahr aufgelöst wurde (es gibt noch die Ambulanz und 8 (?) Betten auf anderen Stationen, die halt kein spezielles Fachpersonal dafür haben, so die mir zuletzt verfügbare Information).

Es war ein Sickervorgang, ich wollte es als positiv denkender Bürger einfach nicht wahrhaben. Aber spätestens beim Auftrag "Entwurf einer neuen Webseite" habe ich doch erkennen müssen, dass hier wohl wieder auf Zeit gespielt wird. Man macht einfach die zwanzigste Webseite zu irgendwas und nutzt das als Vorwand, um keine realen Veränderungen an unserer Gesundheits- oder Krankenverwaltung vornehmen zu müssen, weil man ja eh tätig sei. Es ist zum Mäuse melken, ich komme mir als steuer- und beiträgezahlender Bürger veralbert vor - ich will gar nicht beschreiben versuchen, wie mich die Situation anzipft und was ich von den verantwortlich agierenden Tätern halte.

Während der Diskussionsrunde am Tisch hatte ich gemeint, dass ich oft 1450 bemühe, falls ich dringend einen Arzt oder Rettungstransport brauche (und nur 144 wähle, wenn es eilig ist). Das hat gut funktioniert und ich bin (als ehemaliger Rettungssanitäter) von der professionellen Mannschaft am Telefon und vor Ort schwer beeindruckt. Ich muss dazu sagen, dass kein einziger meiner Anrufe bisher ohne Rettungseinsatz geendet hat - soviel zu digital vor ambulant und stationär.
Was mich als Vertreter einer seltenen Erkrankung und Niederösterreicher ein wenig stolz macht, ist, dass Notruf NÖ die erste österreichische Rettungsorganisation ist, welche das Notfallarmband Nordstern unterstützt.

Das Bewerben und Ausrollen von digitalen Gesundheitsdiensten macht erst Sinn, wenn der Unterbau zuverlässig funktioniert, darauf sollte unser Fokus liegen.

Apropos Fokus und funktionierender Unterbau: Meine Mutter wurde am Wochenende akut ins UKH nach Tulln gebracht (und nicht in unser Bezirksspital St. Pölten). Dann, um 2 in der Früh der Anruf aus Tulln nach Informationen, weil das UKH Tulln nicht auf die Daten aus dem UKH St. Pölten zugreifen kann (und offenbar auch in der ELGA nichts Brauchbares und/oder Verlässliches steht).
An dieser Stelle hör ich jetzt auf zu schreiben, weil ich denke nur noch an nasse Fetzen.

gesundheit.gv.at

In der Tischrunde wurde ich auch gefragt, ob ich denn die Webseite gesundheit.gv.at kenne und falls ja, wann ich zuletzt dort gewesen wäre.
Ich verwende die Seite als Einstieg zu ELGA, öffne Seite also öfter. Ich suche auf der Seite aber nicht wirklich nach medizinischen Informationen und ich möchte darlegen warum.

Mein erster Kontakt mit der Redaktion von gesundheit.gv.at war vor fast einem Jahrzehnt - im April 2015. Da war mir aufgefallen, dass die Suche nach "Sarkoidose" keinen direkten Treffer auf der Seite erzielte, aber in den Ausführungen zum sIL-2r die Beschreibung der Sarkoidose irgendwie im Nachspann dabei war.
Ich hab brav darauf hingewiesen und die Auskunft bekommen, dass bei der nächsten Aktualisierung dieser Unterseite in 2 Jahren das Missgeschick behoben werde. Die Kommunikation war mit "Ihr Gesundheitsportal-Team" unterfertigt und ich habe zukünftige Kommunikationsversuche mit einem anonymen Gegenüber bald bleiben lassen. Der Artikel zum sIL-2r hat auch heute noch den alten Sarkoidose-Beitrag im Nachspann - dass das weder der Redaktion bei der Aktualisierung noch dem prüfenden Experten aufgefallen ist?
Zur Ehrenrettung möchte ich festhalten, dass die damalige Sarkoidose-Beschreibung für 2015 und deutschen Sprachraum ganz gut war - aber damals halt nicht leicht gefunden werden konnte.

Es ist für mich schwer zu erraten, wer denn das Zielpublikum von gesundheit.gv.at sein soll und was der Mehrwert gegenüber anderen Seiten (wie z.B. netDoktor) sein soll - der größte Feind des Guten ist bekanntlich das Bessere.


Für Patienten (oder Interessierte) gibt es hauptsächlich zwei Fragen zu beantworten:

Was habe ich und wohin gehe ich zur Behandlung?


Ich möchte einen Vergleich am Beispiel Sarkoidose ausführen, weil da kenn ich mich ein wenig aus. Zuerst zu dem was hab ich anhand der Webseiten zu Sarkoidose auf gesundheit.gv.at und auf netdoktor, auch im Hinblick auf die Merkmale von verlässlicher medizinischer Information im Internet:

Vergleichswert gesundheit.gv.at - Sarkoidose netDoktor - Sarkoidose
1. Aktualisierungsjahr 2019 2022
2. Ersteller nicht angeführt, nur Prüfer bekannt angeführt
3. Umfang (etwa) ohne Overhead/Quellen 3388 Zeichen 19245 Zeichen
4. Quellenangaben nein ja

Die netDoktor-Seite zu Sarkoidose ist einfach schön gemacht, mit Hinweisen gut strukturiert, lässt nur wenig aus und hat nur wenige Hoppalas. Es würde dem Artikel allerdings ein kleines Update nach der 2021 erschienenen Leitlinien guttun, ebenso wie die Verwendung von nicht nahezu nur deutschsprachiger Referenzliteratur.
Die Beschreibung auf gesundheit.gv.at kann dagegen nicht anstinken - weder im Umfang, der Aktualität, der Relevanz und auch in der Lesbarkeit, möchte ich behaupten. Ebenso werden Mindestanforderungen wie Autor und Literaturverweise nicht erfüllt. Bei etlichen Formulierungen würde selbst ich als geschulter Laie Einspruch erheben und eine Quellenangabe verlangen, wesentliche Teile fehlen.

Soweit zu dem "was hab ich?". Vielleicht punktet die Seite ja mit anderen Qualitäten, wie z.B. einer relevanten Lenkung zum Best Point of Service für Verdachtsfälle oder Betroffene - sowas gibt es bei netDoktor nicht.
Wohin gehe ich zur Behandlung? - verwiesen wird an die üblichen Verdächtigen: Hausarzt, Facharzt - das ist nicht hilfreich weil ein Allgemeinplatz wo erkrankungsspezifische Spezialisierung gefragt wäre.
Da kommt dann noch der Hinweis zur Suche auf Orphanet. Auch der ist nicht hilfreich - für jemand Ungeübten ist er eher schon irreführend. Weil das Klinikverzeichnis auf Orphanet ist ein Telefonbuch, nicht mehr. In einem Land wie Österreich, in dem von einem Tag auf den anderen 9 Millionen Fußballtrainer zu 9 Millionen Virenexperten mutieren, in dem nahezu jeder Arzt ungeniert jede Krankheit zu behandeln scheint, nimmt es auch nicht wunder, dass nahezu jede Krankenhausabteilung für sich in Anspruch nimmt, eine Spezialabteilung für Sarkoidose zu sein.

Aber wo punktet gesundheit.gv.at sonst?
Ich hab keine Ahnung.
Ich hab mir gerade die Seite zu Impfungen angeschaut und bin nahezu erschlagen von der Menge an Impfungen. Was hier wirklich hilfreich wäre, sind einseitige Fachsheets für Menschen in unterschiedlichen Alters-, Berufs- und Gesundheitslagen: empfohlene und erstattete Impfungen auf einen Blick, eventuell mit Zeitstrahl. Die lange Impfungen-Liste ist nicht niederschwellig zu lesen oder zu verstehen, die animiert nicht zur Teilnahme (btw, die Links sind kontrollbedürftig).

Zum Abschluss: Ein bewährter Härtetest für medizinische Seiten ist ihr Text zu Homöopathie. Ich suche danach auf gesundheit.gv.at und finde etliche Bildschirmseiten wie sie wirkt, wie und wofür sie von Ärzten angewendet wird - und nur eine kleinwinzige, unscheinbare Anmerkung gegen Ende, dass der Hokuspokus laut Medizin-Transparent nicht besser wirke als Placebo. Und dann wird auch noch auf die mehrjährige ärztliche Weiterbildung verwiesen. Mit der Feststellung dieser disproportionalen Darstellung von Wirkung und nicht-Wirkung schließe ich normaler Weise eine Seite mit "medizinischer Information" und mach sie kaum jemals wieder auf.
(Und mir ist schon klar, dass Homöopathie auch auf netDoktor zu finden ist - aber in weit geringerem Umfang.)




Sollte ich irgendetwas falsch beschrieben haben, bitte ich um Hinweise, weil mein Gedächtnis ist mies.


(Letzte Änderung: 2024-08-27)