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Nationaler Aktionsplan Seltene Erkrankungen - NAP.se, Monat 41 von 60

Inhalt

  1. Vorwort
  2. Warum ein Nationaler Aktionsplan?
  3. Parlament
  4. Der NAP.se - selten und/oder verwaist?
  5. Medien und Aktivitäten
  6. Notwendige Soforthilfe

Alle meine Darstellungen sind nach bestem Wissen und Gewissen. Sollte ich trotzdem irgendwo Fehler haben, dann bitte um eine kurze Nachricht und ich werde natürlich sofort korrigieren.



Vorwort

Ende März erfolgte die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage zum aktuellen Fortschritt des NAP.se. Der Inhalt hat mich aufwühlt, erschüttert, ernüchtert und dazu bewogen, für den NAP.se in die Tasten zu greifen.

Ich selber bin wahrscheinlich schon seit rund zwei Jahrzehnten von einer häufigen seltenen Erkrankung beeinträchtigt und habe seit rund einem Jahrzehnt meine Diagnose. Wie viele andere seltene Krankheiten hat auch meine systemischen Charakter, was die Suche nach einem Best Point of Service gar nicht so leicht macht.
Umso größere Erwartung habe ich seit einem halben Jahrzehnt in den NAP.se. Dem anfänglichen Enthusiasmus und der Aufbruchstimmung ist aber mittlerweile der Kater der Ernüchterung gewichen. Selber schuld, muss ich mittlerweile sagen. Genug aussichtslos greift man auch in Gedanken nach jedem Strohhalm, der sich bietet - zu unrecht.

Es gibt nicht nur schwarz und weiß, sondern auch beliebig viele Grautöne dazwischen.
Es gibt nicht nur teuer und billig, sondern auch beliebig viele Kostenstufen dazwischen.
Es gibt nicht nur häufige und seltene Krankheiten, sondern es gibt ganz seltene, gerade nicht seltene, häufige und beliebig viele Gruppen dazwischen.
Es gibt nicht nur unmittelbar letale oder harmlose seltene Krankheiten, es gibt auch das ganze Spektrum dazwischen.
Es gibt nicht nur Neugeborene mit seltenen Krankheiten, sondern es gibt sie auch bei Alten und in jedem Alter dazwischen.

All die Kranken - egal ob selten oder nicht - haben zwei gemeinsame Problemstellungen: Was hab ich (Diagnose) und wohin geh ich (zur Therapie). Während bei den Häufigen der Hausarzt meist eine gute Wahl ist, ist derselbe bei den Seltenen oft überfordert, einfach wegen zu wenig Erfahrung mit genau dieser seltenen Erkrankung. Aber das gilt natürlich nicht nur für den Allgemeinmediziner, sondern auch in reduziertem Ausmaß für den Facharzt. Das Schlagwort dafür lautet Fallzahlen - man sieht nur was man kennt und man hört das vertraute Pferd anstelle des Zebras.

Das Problem ist aber auch nach der Diagnose nicht zu Ende. Viele Seltene Krankheiten haben systemischen Charakter und erfordern einen Leitarzt, der die interdisziplinäre Betreuung des Patienten koordiniert. Und auch hier sind die drei Schlagworte für Qualität wieder Fallzahlen, Fallzahlen und Fallzahlen.

Die beiden unmittelbaren, essentiellen Fragen des Seltenen sind


Zwei einfache, naheliegende Fragen, auf die die Aktivitäten des NAP.se hoffentlich Antworten geben sollten - abseits davon, ob es überhaupt ursächliche Therapien gäbe und welche Synergien aus Patientenkonzentration erwachsen könnten. Fehlende Therapiemöglichkeiten schließen nämlich einen Best Point of Service nicht aus, selbst wenn es sich "nur" um eine spezialisierte Palliativbegleitung handelt.

Die Situation für Seltene ist unbefriedigend - diese Behauptung möchte ich im Folgenden belegen.



Warum ein nationaler Aktionsplan?

Der NAP.se in Österreich verfolgt das Ziel, die Lebenssituation aller betroffenen Patientinnen und Patienten unter Einbeziehung ihrer Familien und ihres erweiterten beruflichen und sozialen Umfelds zu verbessern [Einleitungssatz NAP.se@NKSE].

Die einsichtige Begründung, warum es Verbesserung in der Gesundheitsversorgung im Bereich der seltenen Erkrankungen braucht, sind treffend im NAP.se selbst angeführt.


Treffend hat das NAP.se-Team an der NKSE eine leicht verständliche Kurzfassung der Beweggründe und Maßnahmen des NAP.se in der Fachzeitschrift "Soziale Sicherheit" (Juni 2015, mit Literaturverzeichnis am Artikelende) für den Hauptverband verfasst. Einige der aufgezählten Problemlagen im Zusammenhang mit seltenen Erkrankungen sind

Dieser Problemdarstellung ist nur wenig hinzuzufügen. Vielleicht, dass in manchen Bereichen Expertise nicht nur nicht sichtbar, sondern einfach kaum vorhanden ist.

Auch Regine Marcian vom Hauptverband erklärt bei ihrem Vortrag auf der 8. Jahrestagung der Politischen Kindermedizin

Die Sozialversicherung erachtet es als sehr wichtig, die Behandlung seltener Erkrankungen in den Händen ausgewiesener Spezialisten zu wissen, die durch ihre Erfahrung und Vernetzung genau definierten Patientengruppen die optimale Betreuung angedeihen lassen.

Alles klar soweit, lauter einsichtige und nachvollziehbare Argumente.
Aber wer kümmert sich jetzt um den NAP.se, wer ist oder war beteiligt und dafür zuständig?



Parlament

Der NAP.se hat - wie die meisten österreichischen Nationalen Aktionspläne - bisher nur wenig öffentliche Aufmerksamkeit und Beteiligung erfahren. Allerdings liegt die Mit- und Zuarbeit der meisten der beteiligten Institutionen (?) noch viel mehr im Argen. Das schon beinahe unwirsch von obersten Zuständigen zugeraunzte "Aber ihr habts doch schon den NAP.se - was wollt ihr denn noch mehr?" ist für Patienten weder befriedigend noch irgendwie hilfreich.

Bezeichnender Weise findet sich der NAP.se auch nur recht selten in den Medien. Umso erbaulicher, dass es mittlerweile die zweite parlamentarische Anfrage (erste hier) - diesmal direkt zur Umsetzung von Maßnahmen aus dem Bereich des NAP.se - gegeben hat:

Anfrage
Ernüchternd muss nach dem Vergleich der prägnanten, überaus gut gelungenen Problemdarstellung in obiger Anfrage (die durchaus aus dem Artikel NAP.se / Fachzeitschrift Soziale Sicherheit 6/2015 stammen könnte) mit der sehr optimistisch und geradezu überschwenglich formulierten Beantwortung zur Kenntnis genommen werden, dass wohl in der nächsten Zeit keine greifbaren Änderungen oder Verbesserungen für Patienten zu erwarten sind.

Der die Situation offenbarendste Absatz in obiger Antwort steckt schon im Vorwort. Dort steht zu lesen:

Die Umsetzung der im NAP.se genannten Maßnahmen obliegt nicht nur dem BMGF und der von diesem an der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) eingerichteten Nationalen Koordinationsstelle für seltene Erkrankungen (NKSE), sondern allen im NAP.se angeführten Institutionen.

Niemand (außerhalb der NKSE und ProRare) scheint sich für den NAP.se zuständig zu fühlen, niemand will bei öffentlichen Auftritten auch nur das Wort in den Mund nehmen und schon gar nicht Fürsprache für den NAP.se ergreifen - sofern Mann/Frau nicht gerade bei einer einschlägigen Veranstaltung auftritt. Irgendwie drängt sich mir der Eindruck auf, als wären viele Akteure, viele Player unterwegs, die je nach Bühne ganz unterschiedliche Rollen zum Besten geben.

Yann Le Cam von EURORDIS hat es in seinem Vortrag auf der Europlan 2015 in Wien schon auf den Punkt gebracht:
" ... dass ein Plan nur funktionieren kann, wenn die Zuständigkeit eindeutig personell geklärt und festgehalten ist."
Schlechte Aussichten für den NAP.se. Und damit schlechte Aussichten für uns.

Vom weiteren Text der Anfragebeantwortung


Der Rest der Fragebeantwortung besteht in meiner Leseweise im Wesentlichen aus viel verbalem Getöse um Wenig und der Beschreibung von hochkarätig besetzten Sesselkreisen ohne greifbaren Output für Seltene.
Schlichtweg eine Katastrophe - für die im Mittelpunkt stehenden Patienten, die damit den relevanten Akteuren scheinbar nur im Weg stehen.

Zuletzt das Wichtigste: Ich bin mir sicher, dass die am NAP.se arbeitenden Personen in der GÖG/NKSE gute, engagierte und effiziente Arbeit machen. Und ich möchte nicht, dass sie zwischen den Patientenerwartungen und dem auferlegten Arbeitspensum bzw der Kompetenzlosigkeit zerrieben werden - sie verdienen Anerkennung und brauchen Unterstützung. Mit Turbo. Und auch wir Patienten brauchen Unterstützung.

Gesetzgebung und -diskussion

Es gibt eine für einen Laien wie mich kaum überschaubare Menge an Rahmengesetzgebung aus dem Gesundheitsbereich, der manchmal auch Seltene berührt. Hier einige Beispiele:



Der NAP.se - selten und/oder verwaist?

Wie schon oben erwähnt - der NAP.se in unserem unübersichtlichen und verwobenen Gesundheitssystem sollte eigentlich viele Mütter und Väter haben. Im öffentlichen Leben macht er sich aber ganz schön rar, der NAP.se. Obwohl er doch eine große Unterstützerfamilie haben sollte.
Im NAP.se steht dazu auf Seite 8:

Die zentralen Financiers im Gesundheitswesen (Bund, Länder, SV) waren in den gesamten Prozess der Erstellung des NAP.se eingebunden: ... Darüber hinaus ... relevante Ministerien.

Naiv könnte man meinen, dass in zentralen und relevanten Positionen die Botschaft des NAP.se mittlerweile ankommen hätte sollen. Allerdings gibt es kaum organisatorisch Top-Verantwortliche, die seit der Veröffentlichung des NAP.se noch immer in ihrer ursprünglichen Rolle dabei sind.

Direkt zuständige Ministerien mit den Chefs im NAP.se-Vorwort

Für den Inhalt des NAP.se bei seiner Erstellung verantwortlich

Hauptverband

Besonderes Gewicht bei Vorgängen im Bereich Gesundheit hat der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (HV), dessen Vorsitzende(r) seit Jahren von der Wirtschaftskammer (!) nominiert wird:

Landesebene

Auf Landesebene stellt Wien für Seltene natürlich einen Brennpunkt dar und Wien hat auch einen eigenen Sitz (Otto Rafetseder) im Beirat des NAP.se.

Medizinischer Beirat

Die Fluktuation im medizinischen Beirat ist bis heute relativ gering (NAP.se im Vergleich zur aktuellen Auflistung auf der NKSE-Seite). Ausgeschieden sind per 21. Mai 2017 scheinbar


Auf der Seite Seltene Erkrankungen des BMfG-DE steht - wohl auch für Österreich gültig:

Im pluralistisch strukturierten Gesundheitswesen Deutschlands können nachhaltige Verbesserungen in Prävention, Diagnostik und Therapie Seltener Erkrankungen nur dann erreicht werden, wenn es gelingt, Initiativen zu bündeln und ein gemeinsames, koordiniertes und zielorientiertes Handeln aller Akteure zu bewirken.

Es scheint so, als wären dem NAP.se viele Elternteile abhanden gekommen - man kann beinah von einem Waisenkind sprechen. Nicht, dass ich böswillige Kindesweglegung unterstellen möchte, gar nicht daran zu denken. Die Vereinsamung des wenig geliebten Kindes wird halt einfach passiert sein.

Welche Person aktuell für die Übersetzung des Strategiepapiers NAP.se in einen Plan und wer für die Umsetzung dieses Plans und für Monitoring zuständig ist, dazu tappe ich leider im Dunkeln.
Auf der Ministeriumsseite stand zwar zu lesen

Alle Umsetzungsschritte des NAP.se werden im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen von der nationalen Koordinationsstelle für seltene Erkrankungen (NKSE) und dem Beirat für seltene Erkrankungen begleitet.
Begleitet, ja - aber wer setzt um ???



Medien und Aktivitäten

25.3.2017:
Wir befinden im Monat 39 von 60 des NAP.se.
Als bisheriges Highlight des Jahres haben sich vier Gruppen, die häufig mit SE konfrontiert werden oder sich hauptsächlich damit befassen, einen gemeinsamen News-letter kreiert.

Die Beteiligten,


wollen im News-letter vierteljährlich Neues aus dem Bereich SE präsentieren.
Eine Anmeldung zum Newsletter ist demnächst auf Expertisenetze.at möglich.

Presseaussendungen (2017)

Medientechnisch ist der NAP.se bestenfalls eine Randnotiz einer Presseaussendung anlässlich des Rare Disease Day:
Seltene Erkrankungen: mehr Zentren und internationale Vernetzung (APA, 2017-02-28)

Oder wenn es eine Pharma-Veranstaltung gibt:
Seltene Erkrankungen: Je öfter darüber gesprochen wird, umso weniger selten sind sie (APA, 2017-04-11)



Notwendige Soforthilfe

Meine Erwartungen in direkten Patientennutzen aus dem NAP.se sind mittlerweile überschaubar. Es fehlt an allen Ecken und Enden. Und - das muss man auch in aller Deutlichkeit sagen - es fehlt auch an Solidarität der Zivilgesellschaft. Selbst wir Seltenen stehen erschöpft mit dem Rücken zur Wand und wer noch kann, versucht im Alleingang für seine engste Umgebung das Beste zu erreichen. Das Leid und die Aussichtslosigkeit scheint so groß, dass zusätzliches Engagement für andere Kranke unleistbarer Luxus ist. Das ist zwar zutiefst menschlich und verständlich, aber es bringt weder die Idee des NAP.se noch die Betroffenen weiter, die sich nicht oder nicht mehr öffentlich engagieren können und/oder keine aktive Lobby haben.

Die Grundlagen des NAP.se werden wohl vor rund 5 Jahren entstanden sein. In der Zwischenzeit hat sich einiges an den zugrundeliegenden Rahmenbedingungen geändert und der NAPse sollte entsprechend kontrolliert werden. Das Problem dabei ist, dass es für Außenstehende wie mich kaum Transparenz für bisher Erreichtes gibt. Wie schon Gerald Bachinger zu Jahresanfang gemeint hat (Zitate), werden immer mehr wesentliche Entscheidungen hinter verschlossenen Türen getroffen. Ein Umstand, der Verstehen und Anteilnahme nicht nur durch die Zivilgesellschaft mehr als erschwert.


Aber was sollte aus meiner Sicht jetzt wirklich dringend gemacht werden?

  1. Gefühlt ein ganzes Jahr hat der Zertifizierungs-Probelauf von EB-Haus und St. Anna gedauert und während dieser Zeit wahrscheinlich einen Großteil der für die Begleitung des NAP.se zur Verfügung gestellten Arbeitskraft verschlungen. Hier muss dringend etwas geschehen und massiv parallelisiert werden, weil während zertifiziert wird, bleiben alle anderen Maßnahmen - von denen vielleicht Patienten in größerem Umfang direkten Nutzen hätten - liegen.
  2. Ärzte müssen eine Möglichkeit haben, Patienten mit unklarem Bewschwerdebild, welches auf eine bis dahin undiagnostizierte Erkrankung hinweist, an eine kompetente Stelle weiterverweisen zu können. Bisher haben Innsbruck und Salzburg eine Anlaufstelle für vermutete Seltene etabliert. Andere Universitätskrankenhäuser sollten den selben Dienst anbieten.
  3. Mapping von Best Point of Service sollte auch durch die aufkommenden TeWeb-Dienste verfügbar gemacht werden, um Behandlungspfade niederschwellig transparent zu haben und eine leichtere Inanspruchnahme der Patientenmobilitätsrichtlinie zu ermöglichen, wenn keine Expertise verfügbar ist.


Ich bitte hiermit ganz devot um Unterstützung der Seltenen im Geist des NAP.se - im welchem Zusammenhang auch immer und in welcher Intensität man zu geben in der Lage ist - jeder Tropfen Solidarität hilft.

Und natürlich hilft auch jede Idee, wie wir die Arbeiten am NAP.se koordiniert unterstützen und fördern können.

(Letzte Änderung: 2017-05-22)