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8. Kongress für Seltene Erkrankungen

Der 8. Kongress SE 2017 in Wien begann für mich mit Abwesenheit - Abwesenheit vom ersten Veranstaltungsnachmittag mit den medizinischen Fachvorträgen, weil gleichzeitig in einem unserer Partnerspitäler (LKH Hochegg) der Selbsthilfepartner-Nachmittag stattfand. Von diesem Nachmittag gibts also keine Erzählung.
Und ich bin ein schlechter Mitschreiber. Ich befürchte trotz redlicher Bemühungen, dass meine Interpretationen an etlichen Stellen persönlich gefärbt sein werden. Gleichzeitig hoffe ich, dass mein Bericht nicht gänzlich falsch sein wird - für Korrekturen bin ich dankbar. An einigen Stellen hab ich auch nachträglich eigene Kommentare [kursiv] eingefügt.

Inhalt:

  1. Freitag Vormittag
  2. Freitag Nachmittag
  3. Samstag
  4. Workshop 3 - Meine Zusammenfassung
  5. Weitere Links und Pressemeinungen





Freitag Vormittag

Der zweite Kongresstag begann mit einer kurzen Rückblende auf der Vortag durch Vassiliki Konstantopoulou.
Die Grußbotschaft des Ministeriums wurde durch Gerald Embacher überbracht. Dabei wies er auch auf den Strukturplan Gesundheit mit der Verankerung der Expertisezentren als Notwendigkeit für ihre nachhaltige Existenzsicherung hin.

Enrique Terol: Gesundheitsbereich ist zwar ein Wettbewerbsbereich in der EU, trotzdem ist beim share, care, cure speziell das share wichtig.
Eine Schärfung der Definition des Zielpublikums ist mir noch aufgefallen. Und zwar die Erwähnung von seltenen, komplexen Erkrankungen, die eine multidisziplinäre Betrachtungsweise notwendig machen.
Unter dem Motto: "Die Expertise soll reisen, nicht der Patient" ist Telemedizin bzw. Tele-Vernetzung von Experten als Zukunft dargestellt worden. Allerdings gibt es dabei ein Problem, wenn die nationalen Anlaufpunkte für Expertise nicht sichtbar sind. [Es kann durchaus ein Unterschied sein zwischen dem, der behandelt und dem, der Expertise besitzt.]
ERNs: 2017-2018: Implementierung, 2019-2020: Vollbetrieb, Monitoring, ... Nach fünf Jahren Reevaluierung.
Als Selbstverständlichkeit sind Patientenorganisationen in die ERN-Boards mit eingebunden.
ERNs wollen nicht die lokalen Gesundheitssysteme ändern, sondern mit neuen Ideen und Wissen "kontaminieren".
So wie auch national: Es gibt jede Menge Ziele, aber keine Kohle.

Ursula Unterberger weist darauf hin, dass assoziierte Netzwerkpartner in ERNs durch die Existenz von Vollmitgliedern ausgeschlossen werden.

Victoria Mauric zeigt uns ihr persönliches Schnuddelexemplar des offenbar häufig zur Hand genommenen NAP.se mit vielen Post-Its darin als Hinweis, dass ProRare an diesen zahlreichen Stellen etwas beizutragen hat.

Wolfgang Schnitzel zeigt anhand einer Grafik von jährlichen Publikationen, dass seltene Erkrankungen, für die es keine Therapie gibt, kaum beforscht werden - sie werden deshalb auch noch seltener diagnostiziert. Er stellt auch die unterschiedlichen Finanzierungswege für extra- und intramurale Bereiche als hinderliches Problem dar.

Diskussionsrunde





Freitag Nachmittag

Angela Lindner erzählt vor allem über die Telefonberatung 1450 in Wien.
Schmerzsymptome sind die häufigsten Anrufgründe, durchschnittliche Gesprächszeit etwa 8.5 Minuten.
Die meisten Anrufe in der Zeit von 8 - 10 und 16- 20, sowie samstags.
Start mit 26 Mitarbeitern für 24x7 Erreichbarkeit.

Raquel Castro zeigt einige Auszüge einer kürzlichen Rare Barometer Umfrage (aus dieser: Juggling care and daily life?).
[Zu diesem Zeitpunkt fällt mir auf, dass unsere "Zahler" offenbar nicht mehr unter uns weilen - oder ich seh sie zumindest nicht.]
[Die präsentierten, europaweit erhobenen Problemsituation decken sich nahezu perfekt mit meiner Wahrnehmung der Situation in Österreich. Die Übertragung der Erfahrungen des "one place, single and stable point of contact" auf Case Manager in unserem Sprachgebrauch ist hingegen nicht so leicht, weil die Family Doctors in Rumänien kein direktes Äquivalent bei uns haben.]
Sie empfiehlt auch, Unterstützung für SE in nationale Systeme [z.B. Telefonberatung wie 1450] einzubauen.

Ursula Holtgrewe vergleicht Eigenheiten der Versorgung in Spanien, Schweden, Rumänien und Österreich.
-> es braucht ein klares Verständnis dafür, was zu verändern wäre.

[An der abnehmenden Dichte meiner Notizen kann man leicht erraten, dass mir die Müdigkeit ein wenig zu schaffen macht.]

Patienten-Problembeschreibung

Diskussionsrunde





Samstag

Till Voigtländer beginnt den Tag der Darstellung, dass die soziale Versorgung die zweite Seite der Medaillie wäre, die untrennbar mit der medizinischen Versorgung zusammengehört.
Im Rahmen der Vortagszusammenfassung weist er auch darauf hin, dass es wichtig war, [jeweils einen] Vertreter von Bund, Land und HVB dabeigehabt zu haben.

Victoria Mauric beschreibt Neuerungen rund um ProRare.
Der neue Web-Auftritt von ProRare soll nicht nur verschönern, sondern soll auch mehr an Inhalten und Service liefern.
Seltene SHOs sind sehr aktiv und engagiert, aufgrund der Seltenheit meist bundesweit aktiv - und wies auf neue Förderungmöglichkeiten hin.
Die Förderung des Projektes ProNAP zur Unterstützung der Aktivitäten zum NAP.se ermöglicht auch im Ausbildungsbereich die Kontamination durch das Ideengut "Aufmerksamkeit für Seltene".

Rainer Riedl weist im Rahmen des Jahresberichtes auf Till Voigtländer als Zentrum der Bemühungen um SE im letzten Jahrzehnt hin.
Wie alle Jahre findet auch die überaus großzügige Förderung von ProRare durch öffentliche Stellen Erwähnung. [Das war natürlich einer meiner Insider-Witze, um die frustrierende Situation kund zu tun, dass ProRare selbst an vielen Stellen im NAP.se mit Aufgaben betraut ist, aber seit der Gründung 2011 kontinuierlich Null Finanzierung von öffentlichen Stellen bekommt.]

Workshops

Die Workshops waren (aus meiner Perspektive) leider der letzte Programmpunkt des Kongresses. Ich hätte gerne mehr Zeit gehabt, über die Ergebnisse, Abhilfepläne und zukünftige Aktionen zu beraten.
Workshop-Ergebnisse gibt es hoffentlich in konsolidierter Form demnächst, oder irgendwann, irgendwo, ...





Workshop 3 - Meine Zusammenfassung

Unsere persönlichen Erfahrungsberichte sind offenbar recht zeitaufwendig gewesen, darum sind wir nicht zu den "Notwendigkeiten" gekommen und haben nur aktuelle Zustände diskutiert.
Finanzielle Absicherung und Behördenwege haben eine große Schnittmenge und es hat signifikante themenbezogene Zettelhäufungen gegeben. Rare spezifisch sind aber z.B. frühes Einsetzen der Probleme und ungewohnte Problemsituationen beim Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen.

Wie schon zuvor am Kongress ausgeführt und gezeigt wurde, sind medizinische und soziale Versorgung wie die beiden Seiten einer Münze untrennbar miteinander verbunden. Speziell im extramuralen Bereich verschwimmen auch die Abgrenzungen, was man auch an unserem Problem der Zuordnung von Problemlagen zu den beiden Bereichen erkennen konnte.

Problembereich ärztliche Begutachtung

Die größte Zahl der Problemkärtchen gruppierte sich um den Bereich ärztliche Begutachtung. Mit dem Hintergrund von meist chronisch-progressiven Erkrankungen und einer vergleichsweise hohen Anzahl an Vergleichsfällen innerhalb der Patientenorganisationen erscheint die Zuerkennung von unterschiedlichen Pflegestufen sehr willkürlich. Problematisch ist auch der Vorgang rund um die Zuerkennung von erhöhter Familienbeihilfe. Folgenschwer, weil viele andere Leistungen aus dem Sozialbereich an einer zuerkannten erhöhten Familienbeihilfe hängen und offenbar langwierig, weil in diesem Fall der Behördenweg besonders aufwendig erscheint. Am Beispiel von CF wurde die unfaire Trennung von vom Patienten auszuführender, krankheitsspezifischer Therapie von Pflege (und daraus abgeleiteter Pflegestufeneinschätzung) thematisiert.
Fehlende sichtbare Qualitätssicherung, Qualitätskennzahlen und wohl auch Qualitätsbewußtsein (wodurch jedem Arzt die Behandlung jeder Krankheit überlassen wird) stellen auch ein Hindernis für die Inanspruchnahme der Patientenmobilitätsrichtlinie dar.

Spezielle Problemursachen für Seltene

Nicht immer nachvollziehbare Pflegestufen-Einschätzungen sind kein auf Seltene beschränktes Problem und man tut - auch als "Seltener" - gut daran, an allgemeinen Patientenhilfestrukturen zu partizipieren - z.B. am Verein Chronisch Krank.
Hinzukommende Erschwernis bei der Begutachtung von "Seltenen" ist der Umstand, dass nur bei wenigen die Auswirkungen der Erkrankung direkt sichtbar oder allgemein bekannt sind.
Weiters ist der Begutachter auf das Vertrauen auf Vorbefunde und das Verstehen von Konsequenzen der Vorbefundung (wofür in der Regel eine Menge selten-spezifisches medizinisch-soziales Fachwissen erforderlich ist) angewiesen.
Letztendlich ist auch die Wertung der patientenberichteten Problemlage für die aktuelle Einschätzung mitentscheidend. Für eine fundierte Plausibilitätsbeurteilung wäre aber ebenfalls wieder krankheits-spezifisches Vorwissen erforderlich.

Pflegende Angehörige

Obwohl es seltene Erkrankung gibt, die verteilt über das gesamte Lebensalter in jeweils einem bestimmten Altersabschnitt gehäuft auftreten, besteht die größte Anzahl SE seit der Geburt. Dieses - im Vergleich zu anderen Erkrankungen - frühe Einsetzen von zeitintensivem Betreuungsbedarf stellt große Herausforderungen für betroffene Familien dar und führt auch nicht selten zum Zerbrechen des Familienverbandes. Alleinerziehende Mütter stehen zudem auch oft nach dem Tot des Kindes vor dem finanziellen Nichts, wenn das Pflegegeld die einzige "Einkommensquelle" war.
Probleme sind dabei aber vordergründig nicht Behördenwege, sondern Gesetzgebung, die z.B. Pflegegeld mit Mindestsicherung gegengerechnet.

Undurchsichtige Behördenwege

Behördenwege werden insbesondere dann zum Irrweg, wenn Zuständigkeiten wechseln und mehrere Behördenstellen an einem Vorgang beteiligt sind. Für Erwachsene trifft das besonders für die Übergänge Arbeitsunfähig / Krankenstand / AMS / Pension oder Übergänge zwischen verschiedenen Bundesländern zu. Für Jugendliche stellt der Altersübergang vom Kind zum Erwachsenen sowohl im medizinischen als auch im sozialen Bereich oft Neuland dar. Wobei in vielen Fällen die "Wege" so unüberschaubar sind, dass nicht nur Patienten, sondern auch Behördenmitarbeiter offenbar vielfach überfordert sind.
Eine Lotsenfunktion gemeinsam für medizinischen und sozialen Bereich (wie er in anderen Situationen teilweise durch karitative Einrichtungen oder Patientenvertretungen übernommen wird) wäre speziell dann sinnvoll, wenn daraus gewonnene Erfahrungen zum Monitoring und zur Verbesserung des Systems Verwendung finden würden.





Welche Leere hab ich aus dem Kongress gezogen?

Da ist zuerst einmal die Bestätigung der altbekannten Problemlagen, die nicht nur Seltene treffen. Die Situation von von seltenen Erkrankungen Betroffenen wird aber durch einige Punkt besonders erschwert:

Diese Problemlagen sind natürlich nichts Neues und das Datum zu dieser Mitschrift könnte auch 2007 lauten - es würde wohl inhaltlich nicht auffallen. Innerhalb unserer "Familie", die zu diesem Kongress zusammengekommen ist, sind diese Problemlagen und die Notwendigkeit von Abhilfe wohl bekannt. Auf der Veranstaltungsseite des Forum-SK können die Kongressprogramme seit 2010 in Mariazell nachgelesen werden.
Die Frage, die man nach jahrelangem Aufzeigen von immer gleichen Problemlagen stellen muss, ist,

warum nichts zu deren Abhilfe passiert?



Eine Anmerkung hab ich noch ganz am Ende: Wien ist anders.
Von allen Landesdachverbänden zur Selbsthilfeunterstützung hab ich einzig eine Vertreterin aus Wien am Kongress gesehen:
Für diese Interessensbekundung ein dickes Danke !





Falls jemand noch Links zu den Themen rund um den "Kongress SE" hat - bitte her damit.

(Letzte Änderung: 2017-12-17)