5. Österreichischer Kongress für Seltene Krankheiten
Die Veranstaltung fand am 2. und 3. Oktober 2015 in Salzburg in der Paracelsus Medizinische Privatuniversität statt. Während der erste Tag unter dem ärztlich dominierten Motto Versorgungsstrukturen für Patienten stand, wurde der zweite Tag Forschungs-Know how für Patienten - EUPATI im wesentlichen von Betroffenen bestritten.
Weitere Kongressberichte:
ZSK-Salzburg
Newsarchiv der
Paracelsus
Medizinische Privatuniversität
Freitag, 2. Oktober
Wesentliche Motivation für meine Teilnahme war der erste Programmblock am ersten Tag mit dem Titel Sichtbarkeit - um den
Nationalen Aktionsplan für Seltene Krankheiten, um EB-CLiNET und
ERN.
Helmut Hintner
erzählte über seine internationalen Aktivitäten für SE. Speziell auch darüber, dass er daran beteiligt war, Patientenbeteiligung
in das Anforderungsprofil für Referenzzentren zurückzureklamieren, nachdem die aus dem Anforderungsprofil offenbar entfernt worden war.
Er wies auch noch darauf hin, dass es wegen der beschränkten Mittel für SE unbedingt notwendig ist, jeden Euro effektiv zu nutzen und
keine Arbeit unnötig oder doppelt auszuführen.
Viele seiner Forderungen, wie etwa Boardbesprechungen von Patienten mit SE, Richtlinien, Aus- und Fortbildung (auch für Pflege) erfuhren
meine ungeteilte Zustimmung, speziell auch seine Ausführungen über Register im medialen (oft durch Unbeteiligte breitgetretenen)
Spannungsfeld zwischen Recht auf Behandlung und Datenschutz.
Till Voigtländer
wiedererzählte die Zentrenstrategie des Nationalen Aktionsplans für SE. Änderungen, die ich mir im Vergleich zur Präsentation auf der
Europlan
einbilde, sind die Bemerkung, österreichische Zentren werden wohl auch ohne Forschung funktionieren müssen und - worauf mich
Helmut Kronewitter hinwies
- es gibt keine Patienten(-beteiligung) mehr.
Zum allerletzten Unterpunkt der Folien Umsetzung - State of the Play hab ich leider keine Aufzeichnungen in meinen Notizen - obwohl das genau
das Kernthema war, weswegen ich mich nach Salzburg aufgemacht hatte.
Martin Laimer referierte über die Salzburger Anlaufstelle für SE - zusammen mit Christine Prodinger und Daniela Karall (Innsbruck). Anschließend berichtete Florian Lagler über diagnostische Odysseen.
Martina Schmidt erläuterte, wie wenige Medikamente es von der ersten Versuchsphase zur medizinischen Zulassung schaffen und dass bei Patienten mit SE die meisten Medikamente off label benutzt werden müssen.
Wolgang Sperl erzählte über endlich im Aufbau befindliche Kinder-Reha und eeKiZ - für mich ein motivierendes Beispiel, was man mit großem Engagement alles erreichen kann - und wie eine Geschichte aus einem anderen Universum.
Franz Unterberger von Healthcare at Home - der Krankenbruder in der Runde - erzählte von seinem Broterwerb und baute damit auch eine Brücke zum nächsten Veranstaltungstag (Heimtherapie)
Johannes Zschocke führte aus, dass Gen-Untersuchungen auch bei den besten Instituten zu rund 10% Falschresultaten führen und schilderte seine Bemühungen rund um die Führung einer Biobank.
Ein Detail der Tages- und auch der Abschlussdiskussion war die Frage nach der Zentren-Zertifizierung aus dem NAP.se. Die (bislang selbsternannten) Zentren für SE in Salzburg und Innsbruck brauchen eine offizielle Zertifizierung aus dem Regelwerk des NAP.se, um sich mit der Deadline Ende März 2016 (?) für die Teilnahme an europaweiten Referenznetzwerken bewerben zu können - scheinbar gab es dazu bisher nur Strategie und keinen Plan.
Der Abend endete für mich damit, angeblich ein wenig zu weit gegangen zu sein - aber das ist eine andere Geschichte.
Samstag, 3. Oktober
In den zweiten Tag ging ich mit sehr niedrigen Erwartungen. EUPATI - die zwanzigste Homepage rund um Gesundheit, die dreißigste Warnung
vor der Vereinnahmung durch Big Pharma
(spiegel.de)
bei Studien - was sollte da schon Neues dabei sein?
Es sollte anders kommen. Ein mir bis dahin völlig unbekannter Hans-Ulrich David Haerry erzählte, was EUPATI (European Patients Academy on Therapeutic Innovation) samt Toolbox denn sein sollte. Und ich wurde langsam Mitschrift-aktiver. Ich hab zwar die Ursprünge von EUPATI nicht mitbekommen, viele seiner Bemerkungen hab ich aber mitgeschrieben:
- EUPATI ist eine aus dem WP7 finanzierte Initiative.
- Um dabei zu sein, müssen wir was wissen.
- Wir sollten keine Chance verpassen, die sich uns bietet.
- Es ist unbedingt notwendig, die relevanten Akteure zu kennen, um etwas zu erreichen.
- Es gibt bei uns eine fehlende Kultur von Patientenorganisationen (im vgl. zu UK - wegen geringerem Leidensdruck ?).
- Die Toolbox als Starthilfe für Patienten und Patientenorganisationen soll demnächst verfügbar sein. Wie bei allen Projekten aus diesem Förderbereich ist nicht einmal die Erhaltung nach Projektende in Aussicht.
- Beim Entwurf von Studien ist die Zusammenarbeit mit Patienten wichtig, um lebbare Designs und relevante Endpunkte zu definieren.
- Initiativen (wie diese) müssen im Interesse der Patienten patientengeführt sein.
- Für die nachhaltige Wertschätzung ist eine 50%-Finanzierung aus öffentlichen Gelder ein guter Gradmesser.
- Es ist wichtig, an einem Strick zu ziehen (und hoffentlich alle auf der richtigen Seite der Schlinge um den Hals :-))
- Patienteninitiativen brauchen Freiraum zur Diskussion "untereinander".
Ulrike Holzer stellte die Akteure der patientengeführten EUPATI Landesplattform Österreich vor. Sie erzählte von langsam beginnenden Kooperationen in Österreich und las einen Grußbrief von Andrea Kdolsky (die 2008 als Gesundheitsministerin die SE-Petition entgegen nahm und derzeit Bundesgeschäftsführerin der ARGE Selbsthilfe ist) vor.
Nachhaltig in Erinnerung blieb mir der zweite Vortrag von David Haerry über eine Erfolgsgeschichte durch Patienteninitiatve.
Seine Aufzählung, welche Puzzlesteine wichtige Teile auf dem Weg zum Erfolg der HIV-Therapie waren, begann mit einem Zitat von
Larry Kramer aus
1,112 and counting:
"Our continued existence depends on just how angry you can get".
Speziell für den NAP.se (von dem ich schon seit längerem nichts gehört hab) hab ich mir die Bemerkung festgehalten, dass es durchaus
zweckdienlich sowohl ein internes als auch ein externes Sitzungsprotokoll geben könne.
Und dass kein (Protokoll-)Review länger als eine halbe Woche brauchen darf, sonst müsse man sehr über die Motivation nachdenken
(Schande über mich, ich bin schon eine Woche nach dem Veranstaltungstermin).
Während der Mittagspause erfolgte die offizielle Vorstellung des österreichischen EUPATI Teams bestehend aus Claas Röhl, Rainer Riedl, Ulrike Holzer, Florian Lagler, Doris Madlberger und Martina Schmidt.
Michaela Weigl erzählte von ihrer Tochter Maria. Von ihren Bemühungen, damit Maria in eine Medikamentenstudie mit aufgenommen wird, um irgendeine erfolgversprechende Behandlung zu bekommen. Ihr wöchentliches Pendeln nach London bis zur aktuellen Versorgung daheim durch unseren Krankenbruder Franz Unterberger vom Vortag. Einige Male hatte ich auch feuchte Augen - es ist eben eine andere Situation, über anonyme Betroffene zu reden oder die Betroffenheit auch mit einem Gesicht vor sich zu sehen.
Johann Ebner hob die Rolle der SHG zum persönlichen Erfahrungsaustausch hervor. Florian Lagler wiederholte die witzig gemeinte Bemerkung "Schreiten wir zum Äußersten und sprechen wir mit dem Patienten."
Bernhard Monai ("Der Wasserwirt") stellte gemeinsam mit seinen beiden Töchtern
ein Armband für Notfallsdaten vor. Er hatte schon viel Zeit und Energie in dieses Projekt gesteckt und hat auch schon etliche Kooperationszusagen.
Spontan schießt mir natürlich die Notfallkarte aus dem NAP.se HF1 durch den Kopf - wird da wegen auf-die-lange-Bank-schieben wieder ein
an sich gutes Rad zum hundertsten Mal neu erfunden werden?
Zufälliger Weise (oder auch nicht) hatte auch Helmut Kranewitter ein bereits verfügbares Notfallarmband, das er im Foyer herzeigen konnte, mit dabei.
Claas Röhl bezeichnete im letzten Vortrag die Situation als schlecht und man müsse der Situation ein Gesicht geben, um mehr Solidarität erhoffen zu können. Und nach dem Rare Disease Day ist vor dem Rare Disease Day.
Florian Lagler als Hausherr beendete den Abend mit weiteren Links (KrebsimFokus, Pharmig, CRCS, WingsForLife)
Das war er auch schon, mein Salzburg-Urlaub. Was hab ich mir mitgenommen?
- Keine Arbeit im Bereich von RDD doppelt machen - wir haben Wichtigeres zu tun.
- Was wir erreichen können, hängt nur davon ab, wie grün - ähm - wütend wir werden können.
Wem möchte ich im Speziellen danken?
Natürlich den Organisatoren und Sponsoren, die dieses Treffen erst möglich gemacht haben.
All den Teilnehmern, die dort etliche Stunden karger Freitzeit verbraten haben.
Und ganz außerordentlich hervorheben möchte ich Till Voigtländer, der als unsere einzige Assoziation zum Gesundheitswesen
zwei Tage mit uns ausgehalten hat.